Ist der Mensch dem Tier Herr?
Seit meiner Geburt hatte ich schon immer etwas mit Tieren zu tun. Größtenteils mit Hunden. Wir hatten in unserer alten Wohnung einen Tierschutzverein in dem circa 20 Hunde waren. Es war herrlich für einen 5-jährigen sich dazwischen zu befinden. Viel Chaos und schmutzige Hunde das ist wohl der Traum jedes Kindes. Vielleicht bin ich auch aus diesem Grund damals so naiv geworden und dachte alle Hunde haben mich gern. Soweit sind wir aber noch nicht. Ich wurde damals von unserem Bernhardiner, Maya, 2 mal in den Kopf gebissen. Daran erinnere ich mich aber nicht mehr. Was ich noch weiß, ist das sie dann eingeschläfert wurde und mir es leid tat. Das war als ich 8 war. Im Alter von 12 wurde ich dann von unserem Rauhaardackel gebissen. Auch er wurde eingeschläfert. Dies war mir aber relativ egal.
Der nächste Unfall sollte sich dann am 02.09.2000 ereignen. Ich habe dort
gewohnt und jeden Tag dort gearbeitet weil meine Mutter Tierheimleiterin war.
An diesem Tag, an meinem Geburtstag, musste ich eigentlich nicht arbeiten. Da
allerdings meine Vertretung einige Bauarbeiten zu erledigen hatte habe ich
mich bereiterklärt noch diesen einen Tag zu arbeiten. Das war mein Fehler.
Alles fing ganz normal an. Ich schloss das Hundehaus auf, begrüßte alle
Hunde und machte das Futter fertig. Ein Napf fehlte. Es war der von dem
Schäferhund Ben. Diesen Napf hatte ich am Tag zuvor in seinem Zwinger
stehengelassen, weil er noch nicht fertig war. Ich ging also in den Zwinger,
hob den Napf auf und sah in den Augenwinkeln, dass Ben einen sehr komischen
Gang hatte. Ich drehte mich um und sah genauer hin. Er hat einen, für einen
psychisch kranken Hund typischen, irren Blick. Ich bewegte mich langsam, mit
dem Napf in der Hand in Richtung Tür und dann kam er auf mich zu und
versuchte nach meinem Gesicht zu schnappen.
Ich wich aus und hielt meine Hand vors Gesicht. Die hat's dann erwischt.
Ich sagte ihm, unter Schock, dass er loslassen soll aber er hörte nicht und riss
immer weiter daran. Ich nahm seinen Kopf und drehte ihn rum sodass er
loslassen müsste. Er wurde aber immer wilder und schüttelte meine Hand. Ich
ging rückwärts auf die Tür zu, immer noch mit Ben an der Hand und versuchte
sie zu öffnen. Dies gelang mir auch und Ben ließ sogar los. Doch dann sprang
er mich ein weiteres Mal an und ich fiel hin. Diesmal erwischte er mein
Handgelenk. Da lag ich nun mit dem Hund auf mir. Ich versetzte ihm einen Tritt
worauf er in den Zwinger flog und ich schnell die Tür verriegelte sodass er
mich nicht ein weiteres Mal angreifen konnte. Ich weiß nicht mehr wie lange
ich da stand mit blutender Hand und Ben in die Augen guckend. Er wedelte vor
mir und hatte einen wehleidigen Blick drauf. Dies irritierte mich. Ich ging
einen Schritt auf ihn zu und sofort war diese unerklärliche Aggression wieder
da. Als ich wieder bei Besinnung war bemerkte ich dass es mich wohl doch
schlimmer erwischt hatte. Ich ging in meine Wohnung und mein Stiefvater
verband die Hand notdürftig um die Blutung zu stillen. Dann rief meine Mutter
meinen Vater an. Er kam sofort und fuhr mich ins Krankenhaus. Erst auf dem Weg
dorthin kamen die Schmerzen. Sie waren nicht auszuhalten, da nicht nur das gesamte
Muskelgewebe zerfetzt war sondern sämtliche Nerven zerstört wurden. Als ich
endlich im Krankenhaus ankam, wurde ich zuerst in die Ambulanz verfrachtet, wo
ich nach Namen, Tätigkeit und Beschreibung meines Unfalls ausgefragt wurde.
Es war die Hölle. Ich bat um ein Schmerzmittel aber sie sagten sie dürfen
mir nichts geben. Als dann endlich alles Formale geklärt war wurde ich
umgezogen und bekam eine Örtliche Betäubung. Drei Spritzen in die Schulter.
Als dann das Schmerzmittel endlich wirkte wurde mir sehr schlecht. Ich bin vor
Erschöpfung eingeschlafen. Als ich wieder aufwachte war ich auf den Weg in
den OP. Ich wurde noch von dem Arzt aufgeklärt, dass die Chancen, dass die
Nerven wieder richtig zusammenwachsen, recht gering seien. Das war mir in
diesem Moment aber egal. Ich wurde also wieder zusammengeflickt. Drei Stunden
hat die Operation gedauert bis meine Hand wieder in eine normale Form hatte.
98 Stiche. Meine Hand hatte irgendeine Färbung zwischen blau-grün und lila-
rot. Ich habe darum gebeten nach Hause zu gehen und nach langer Diskussion
durfte ich auch nach weiteren zwei Stunden und vielen Packungen mit Rezepten
und Pillen das Krankenhaus verlassen. Da ging es mir noch ganz gut. Als die
Betäubung blöderweise nachließ war der Spaß vorbei. Ich konnte nur noch
auf dem Sofa liegend, mit Blutsonde und Brecheimer bewaffnet versuchen zu
schlafen. Am nächsten Tag, total übermüdet und entkräftet von der Nacht
musste ich noch mal ins Krankenhaus zum Verbandwechsel und Diagnose. Die
Schwester fragte mich ob ich stehen bleiben will beim Verbandwechsel und ich
sagte ja klar! Als sie dann jedoch dieses Ding, was ja mal meine Hand war
auspackte musste ich mich doch hinlegen. Ich bekam einen neuen Verband und
eine Schiene. Auch stärkere Schmerzmittel wurden mir verschrieben. Dann war
ich wieder zuhause. Wieder im Versuch zu schlafen. Das ging dann die Wochen
so. Jeden Tag ins Krankenhaus und jeden Tag schlafen und kurieren.
Fast 2 Monate später, nach Therapie mit Lymphdrainage und Muskeltraining
durfte ich meinen Verband abnehmen. Es war ein tolles Gefühl. Das Problem
heute noch ist nur leider das ich kaum Gefühl in meinen Fingern habe. Auch
das Muskelgewebe am Handballen hat sich Knollenförmig verformt. Es ist aber
ungefährlich.
Leider war damit mein Alptraum noch nicht vorbei. Auch nach diesen 2
Monaten hatte ich Angst vor Hunden. Sogar vor den Hunden, mit den ich
aufwuchs. Es war echter Psychoterror. Ich der mit Hunden aufwuchs und immer
ein ganzes Hundehaus mit 30 Hunden leitete hatte Angst vor Hunden. Das
eigentliche Problem daran ist, dass die Hunde die Angst riechen. Ihnen kannst
du nichts vormachen. Du kannst an einen noch so gefährlichen Hund rangehen
wenn du nur keine Angst hast und selbstbewusst bist. Das konnte ich ab da
vergessen.
Heute geht es mir wieder gut ich kann alles richtig greifen und spüre auch
wieder ein bisschen was. Auch die Angst vor Hunden ist gewichen. Meine Arbeit
auf dem Tierschutzhof musste ich leider einstellen. Ich habe derzeit 8 Hunde
und verschaffe mir jeden Tag aufs Neue den nötigen Respekt damit das alles
nie wieder passiert denn das wünsche ich nicht einmal meinen schlimmsten
Feinden.
Ich habe diese Geschichte geschrieben, damit diese Menschen, die in der
Stadt rumlaufen und denken jeden Hund anfassen zu müssen daran denken, dass
du wenn es drauf ankommst den kürzeren ziehst. Ich habe viel Erfahrung im
Umgang mit Tieren und bin auch nicht gerade schmächtig gebaut aber gegen
einen Schäferhund hast du schlechte Chancen. Narben bleiben und lassen sich
auch nicht durch die Gewissheit verdunkeln, dass der Hund tot ist. Auch Ben
musste leider sterben aber ich habe dennoch Mitleid mit ihm. Hunde sind das
was die Menschen daraus machen und Ben war in diesem Fall eine Überzüchtung.
Ich habe mich mit dem Züchter in Verbindung gesetzt und musste erfahren, dass
die Geschwister von Ben ebenfalls solche Aggressionen aufwiesen.
Heute gehe ich gerne auf den Tierschutzhof. Gehe gerne mit Hunden spazieren
aber ich habe immer den Hintergedanken, dass sich die Menschen Tiere halten
gegen die sie eigentlich keine Chance haben.